Über die „Humanisierung des Geldes“
Grundlagen einer lebensgesetzlichen Ökonomie
Charly Rainer Ehrenpreis, 2010
1. Die Globale Situation
Die gesamte Menschheit lebt heute im System des globalen Kapitalismus, welches in der Hauptsache auf der Maximierung des Profits beruht, unter Ausbeutung des größten Teils der Menschheit und der gesamten Natur. Es folgt der Frage: Wie kann man aus dem, was gegeben ist, in möglichst kurzer Zeit den höchsten Gewinn erzielen, koste es für das Leben, was es wolle?
Dieses Vorgehen hat spätestens seit dem 1. Weltkrieg dazu geführt, dass der Mensch über die Funktion des Geldes in zunehmendem Maß eine überdimensionale Kriegsgesellschaft aufgebaut hat, die den Krieg benutzt, um das kapitalistische Wirtschaftssystem aufrecht zu erhalten. Mehr noch: Sie braucht den Krieg, um zu funktionieren. Krieg von Völkern gegen Völker mit Hilfe einer riesigen Waffenindustrie und Krieg von Menschen gegen die Natur mit Hilfe einer ebenso riesigen chemischen und technischen Industrie. Jede moderne Volkswirtschaft ist auf die moderne Waffenindustrie und die Industrie für den Wiederaufbau zerstörter Länder angewiesen. Seit der Globalisierung des Geldmarktes ist jeder Mensch der Geldgesellschaft Teil dieses Systems.
Edward Goldsmith hat im letzten Kapitel des von ihm herausgegebenen Buches „Schwarzbuch der Globalisierung“ die derzeitige Situation der Menschheit eindrücklich beschrieben; ich fasse seine Analyse hier kurz zusammen:
Als 1995 bei der so genannten Uruguay-Runde die Welthandelsorganisation WTO als das wichtigste Instrument der Globalisierung gegründet wurde, suggerierte man den Menschen, dass die Globalisierung zum Wohl aller Lebewesen auf der Erde eingeführt würde. Viele glaubten das auch, denn die Argumente schienen einleuchtend zu sein und „Globalisierung“ lag (z.B. in Folge des Internet) als nächster Entwicklungsschritt der Menschheit in der Luft. Es ist jedoch eine Tatsache, dass seitdem die Kluft zwischen Arm und Reich ständig größer wurde, die Umwelt schwerer belastet wurde als je zuvor und Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Unterernährung, Obdachlosigkeit und Krankheiten immer weiter anwachsen. Dies liegt vor allem daran, dass die lokalen Wirtschaften unter dem Druck der Globalisierung weitgehend zusammengebrochen sind. Kaum eine ehemalige Subsistenzwirtschaft kann den Konkurrenzdruck der multinationalen Konzerne überleben, kein unterentwickeltes Land sich unter den Bedingungen des IWF und der Weltbank wirklich entwickeln.
Mit dem zunehmenden Verschwinden der lokalen Autarkien verschwand aber auch der soziale Zusammenhalt der Stammesgesellschaften (bei den indigenen Völkern) bzw. der Gemeinwesen in den Ländern der westlichen Welt. Deren bisherige soziale Funktion fiel nun aus, was zu großen Problemen z.B. bei der Alters- und Krankenversorgung führte, zu erhöhter Kriminalität usw. Aber auch hierfür bietet die Globalisierung ihre Lösungen: die Privatisierung aller bisher von den Gemeinwesen übernommenen sozialen Funktionen. Da diese sozialen Leistungen aber jetzt bezahlt werden müssen, erhöhen sich die Lebenshaltungskosten aller Menschen, wobei einige wenige Reiche an diesem System verdienen. Es setzt so etwas wie eine Atomisierung der Gesellschaft ein, d.h. die völlige Privatisierung und letztlich Isolierung des Einzelnen.
Noch vor 100 Jahren wurden die sozialen Funktionen von den Großfamilien, Gemeinschaften und Gemeinden übernommen. In diesen erzeugte man die benötigte Nahrung weitgehend selbst, auch die Kleidung, man erzog die Kinder, versorgte die Alten und Kranken und erhielt die Sozialordnung (auch die Rechtsprechung) aufrecht. Dieses „soziale Wirtschaftssystem“ kam fast vollständig ohne Geld aus! Es basierte auf dem „sozialen Kapital“ der Gemeinschaft bzw. der Gemeinwesen. Die Globalisierung verwandelt alle sozialen Tätigkeiten in Waren; diese werden privatisiert, d.h. in vielen Fällen in die Hände multinationaler Konzerne gegeben, damit sie global vermarktet und gehandelt werden können. Durch diesen Vorgang aber werden diese Tätigkeiten aus ihrem natürlichen sozialen Kontext herausgelöst, d.h. sie werden letztlich entseelt. Das Gleiche, was die Globalisierung mit den sozialen Bindungen tut, tut sie auch mit den ökologischen Bindungen in den natürlichen Biotopen und Kreisläufen. Zunehmend werden hochkomplexe Ökosysteme zerstört, um Monokulturen, industrielle Landwirtschaft oder überdimensionierte Stauseen anzulegen, mit den bekannten Nebenwirkungen des Treibhauseffekts und der Veränderung des Weltklimas.
Mit einem Satz: Die Globalisierung ersetzt die sozialen Funktionen der lokalen Gemeinwesen durch die globale Geldwirtschaft und die natürlichen Funktionen der Biosphäre durch eine nicht naturgemäße Technik.
Diesem Vorgang lag die zunehmende Auflösung der lokalen Gemeinwesen (Stamm, Großfamilie, Gemeinden) in die verstümmelte Form der Kleinfamilie zugrunde. Sie ist keine autarke soziale und wirtschaftliche Einheit und sie ist ökologisch nicht mit ihrer Umwelt verbunden. So entwurzelt sie den Menschen und entfremdet ihn von seinen Quellen des Daseins, von Mitgefühl, Einfühlungsvermögen, Selbständigkeit und Sinn im Leben. Auch der Begriff der Demokratie wurde verstümmelt, denn die ursprünglichen sozialen Einheiten, in denen er entwickelt wurde, bestehen gar nicht mehr. In den heutigen Megasystemen hat der Einzelne kaum noch Möglichkeiten, über sein Leben zu bestimmen. Auch weltumspannende politische Entscheidungen werden heute nicht mehr von den einzelnen Staaten getroffen, sondern wurden durch die Einführung der WTO, der internationalen Handelsabkommen usw. an eine „De-facto-Weltregierung“ abgegeben, die ihre Entscheidungen jenseits von parlamentarischer oder demokratischer Legitimation trifft. Ihre Entscheidungen werden kaum noch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So wird immer weniger durchschaubar, wie viel Druck die multinationalen Konzerne auf die politischen Entscheidungsträger ausüben. Damit verschleiern sie, dass sie – und nur sie – die großen Gewinner der Globalisierung sind.
Eine wirkliche Demokratie basiert vor allem auf der Wiedereinführung von lokaler wirtschaftlicher und sozialer Eigenständigkeit. Dazu gehört die Verwurzelung der Menschen mit dem Ort, an dem sie leben, das Herstellen ihrer Nahrung, ihrer Kleidung und ihrer Wohnungen. Auch gehört dazu die Wiedereinbettung der Menschen in ihre natürlichen Ökosysteme, in denen sie leben, und die autonome Verwaltung ihrer Ressourcen (Boden, Wasser, Luft, Tiere, Pflanzen, …). „Nur, wenn diese ganze Gemeinschaft (gemeint ist die ökologische Gemeinschaft) gesund ist, können auch ihre Mitglieder auf eine nachhaltige Weise körperlich und geistig gesund sein und bleiben“ (Wendell Berry, nach Edward Goldsmith). Nur auf diese Weise wird es möglich sein, auch die Umwelt nachhaltig das sein zu lassen, was sie ist: unsere elementare Lebensgrundlage, die uns am Leben erhält. Die lokalen Wirtschaftssysteme können viel verantwortlicher darauf achten, dass sie den Bedarf an Energie und Ressourcen nachhaltig verwalten. Auch die Versorgung der Bedürftigen (Kranke, Alte, …) kann wieder in diese lokalen Sozialsysteme integriert werden.
Viele Menschen werden also wieder lernen müssen, außerhalb der globalisierten Wirtschaft zu überleben. Es werden autarke Gemeinwesen entstehen müssen, die ihre Lebensnotwendigkeiten wieder in ihre eigenen Hände nehmen. Diese Gemeinwesen werden sich aber nicht „zurückentwickeln“, sondern die naturgemäßen Erfindungen unserer Zeit nutzen, z.B. die dezentrale Energiegewinnung aus Solarenergie, Wind- und Wasserkraft, die Erkenntnisse der modernen Ökologie (Wassermanagement, Permakultur usw.), des naturgemäßen Bauens, der alternativen Medizin usw. Diese erweiterte Anti-Globalisierungsbewegung, diese „Partei der Gemeinwesen“, wird zwar zunächst wenig Geld und Macht haben, aber die Zahl ihrer Mitglieder wird notwendigerweise immer mehr anwachsen. „Wenn eine solche Partei an die Macht käme, könnte sie eine koordinierte Strategie für einen weniger schmerzhaften Übergang zu der Art von Gesellschaft und Wirtschaft entwickeln und umsetzen, die unseren Kindern auf diesem bedrohten Planeten überhaupt noch eine Zukunft zu bieten hat“. (Wendell Berry, nach Edward Goldsmith)
So weit meine Zusammenfassung der Analyse von Edward Goldsmith.
2. Grundgedanken zu einer Lebensgesetzlichen und Global Verträglichen Neuen Ökonomie:
Für eine neue Ökonomie brauchen wir neue autarke Gemeinwesen. Wir nennen sie „Heilungsbiotope“ oder „Friedensforschungsdörfer“. In ihnen lernt der Mensch wieder, sich seiner Quellen und seiner kosmischen Herkunft bewusst zu werden, die natürlichen Ressourcen seines Lebens tiefer zu entdecken, sie zu schützen, zu würdigen und ihren Wert nachhaltig in sich zu festigen. In solchen Orten entsteht ein gänzlich neues Verständnis von der Ökonomie des Lebens.
Die neue Friedenskultur, die aus dem Zusammenschluss und dem Zusammenspiel dieser Friedenszentren heraus entstehen wird, wird dem Geld eine ganz neue Funktion zuweisen.
Wie finden wir Vorbilder für diese neue Ökonomie?
Es gibt auch in der Natur eine Ökonomie, und diese Ökonomie ist seit Jahrmillionen im Laufe der Evolution entwickelt worden. Wäre es nicht ratsam, uns an dieser Ökonomie ein Beispiel zu nehmen, um eine Ökonomie für die Menschheit zu entwickeln? Was aber sind die Grundprinzipien der Natur? Wie arrangieren sich die Lebewesen untereinander und mit der Umgebung, um im Kleinen stabile Biotope zu bilden und um im Großen stabile Kreisläufe aufzubauen?
Einige dieser Grundprinzipien sind:
- Aufbau möglichst komplexer Systeme zur Erreichung höchstmöglicher Stabilität.
- Zusammenschluss zu Systemen immer höherer Ordnungen durch diese zunehmende Komplexität.
- Um dies tun zu können, sind alle Systeme in der Natur gegenüber dem Ganzen der Biosphäre offene – und nicht abgeschlossene – Systeme.
- Sie haben ein hohes Maß an Dezentralisierung und Aufgabenteilung.
- Symbiose: gegenseitige Unterstützung durch Austausch von „Abfallprodukten“, die für den anderen Nahrung sind. Ein schönes und einfaches Beispiel hierfür ist unsere Atemluft: Pflanzen „atmen“ Sauerstoff aus und Kohlendioxid ein, Tiere und Menschen tun genau das Gegenteil. Sie brauchen den Sauerstoff, den die Pflanzen ausatmen, und atmen selbst Kohlendioxid aus. Dies ist eine einfache Form von globaler symbiotischer Unterstützung.
- Keine direkte Äquivalenz von Geben und Nehmen, sondern der Aufbau möglichst großer Energie-, Informations- und Materiekreisläufe zum bestmöglichen Erhalt aller Teilnehmer.
- Anpassung der Lebewesen an die jeweiligen Umweltbedingungen (Flexibilität).
Ohne diese Prinzipien der Evolution wäre eine ständige Höherentwicklung des Lebens auf der Erde gar nicht möglich gewesen.
Die so entstandene Ökologie als das Zusammenspiel der Lebewesen untereinander hat von selbst gewisse ökonomische Grundprinzipien und Grundstrukturen entwickelt:
- Die Entstehung sich selbst erhaltender Systeme oder Biotope (Autarkie).
- Die Entwicklung immer größerer Netzwerke des Zusammenspiels bis zum Aufbau einer gemeinsamen Atmosphäre als Lebensbedingung für alle Lebewesen.
- Die Biotope arbeiten in hohem Maße dezentral und arbeitsteilig, wobei sich die Mitglieder durch ihre speziellen Qualitäten gegenseitig ergänzen und fördern (Symbiose).
- Die Natur kennt keinen „Abfall“.
- Der „Handel“ erfolgt nicht nach einem Abwägen zwischen dem, was ein Mitglied gibt und dem, was es vom Ganzen bekommt; jedes Mitglied gibt von sich aus alles, was es zu geben hat.
- Fehlt einem Mitglied trotzdem etwas, so besitzt es in einem gewissen Rahmen die Flexibilität, sich den neuen Umweltbedingungen anzupassen.
Eine neue Ökonomie des Menschen, die sich nach diesen Grundsätzen orientiert, ist vor allem eine Ökonomie des Schenkens. Georges Bataille hat eine solche Ökonomie entwickelt, indem er die Sonne als das höchste verschenkende Organ unseres kosmischen Umraumes ansah. Sie verschenkt sich grenzenlos und ermöglicht dadurch überhaupt erst die Entwicklung von Leben auf unserem Planeten. Aber auch die Lebewesen selbst verschenken alles, was sie nicht selbst benötigen. Und sie erhalten alles zurück, was sie zu ihrem Leben benötigen. Dieses Grundprinzip des Schenkens ist es, weshalb Jesus mit naturwissenschaftlicher Präzision sagen konnte: „Sehet die Vögel unter dem Himmel; sie säen nicht, sie ernten nicht; und ihr himmlischer Vater ernährt sie doch.“ Dies ist kein biblisches Wunder, sondern es ist das Ergebnis eines Millionen Jahre langen Evolutionsprozesses. Erst wenn die ökologischen Kreisläufe in der Natur durch den Menschen derart zerstört werden, wie es heute der Fall ist, wird dieses Prinzip für die Lebewesen nicht mehr greifen. Es ist aber nicht die Schuld der Evolution, wenn heute z.B. in den Dürrezonen Afrikas die Tiere verhungern oder verdursten, sondern es ist die Tat des Menschen, der sich bewusst oder unwissend gegen die Natur entscheidet.
Die Ökonomie der Natur ist als erstes also ein vorbehaltloses Verschenken von all dem, was nicht lebensnotwendig ist.
Als zweites aber genauso der Aufbau von genügend komplexen, „durchdachten“ Systemen der Selbsterhaltung und der Nachhaltigkeit. Beide Begriffe zusammen ergeben den Begriff der Autarkie. Autarkie ist ein überlebensnotwendiges Paradigma von Biotopen. Genauso wie Dezentralisierung und Arbeitsteilung: Jedes Mitglied eines Biotops „weiß“, was es zu tun hat, was es zu geben hat, was es vom Ganzen braucht und mit wem es symbiotisch verbunden ist.
Es rechnet nicht sein Geben und Nehmen im direkten Sinn gegeneinander auf; in diesem Sinn gibt es in der Natur nicht das, was wir Geld nennen. Trotzdem gibt es eine „volkswirtschaftliche Gesamtbilanz“, ein „Gesamt-Bruttosozialprodukt“ der Natur: und beide sind positiv, denn die Entwicklung des Lebens auf der Erde ging bislang immer nach vorne, zu immer höherer Komplexität, zum Aufbau einer immer größer werdenden Gesamtbilanz an „innerer Energie“ (Teilhard de Chardin) und Bewusstsein auf der Erde.
Versuchen wir, ganz konkret zu werden: Eine neue Ökonomie der Menschheit basiert auf dem schenkenden Zusammenspiel von autarken Zentren. Geld muss es letztlich nicht mehr geben, auch nicht als Tausch- oder Zahlungsmittel, denn es gibt nichts, das bezahlt werden müsste.
Wir sind hier an einem visionären Punkt angekommen, an dem sich die Ökonomie des Lebens auf der Erde angleicht an das Wesen der Liebe. Wer liebt, fragt letztlich auch nicht, was er zurück bekommt. Wenn es eine Resonanz in der Liebe gibt – und Liebe basiert immer auf Resonanz –, dann kommt auch das zurück, was man sucht oder braucht; jetzt gleich oder später. Es geht hier lediglich um die Frage, wie weit oder wie groß man das Umfeld der eigenen Liebeskraft sehen und erleben kann. In einer ein Heilungsbiotop tragenden Gemeinschaft vollzieht sich die Liebe bei klarem Blick immer auf einer höheren Ordnungsebene; sie ist „wie ein Feuerball“ und will weiter verschenkt werden; so wie die Sonne ihr Licht und ihre Wärme verschenkt.
„Can ́t buy me love“ sangen die Beatles, und ich möchte hinzufügen: „Aber sie wird Dir geschenkt, wenn Du ihre Spielregeln verstanden hast“.
Wenn wir im Bereich des Geldes oder auch im Bereich unserer Arbeitskraft wieder lernen, uns zu verschenken und uns beschenken zu lassen, dann werden wir es eines Tages auch wieder in dem Bereich lernen, in dem es uns am schwierigsten zu sein scheint, nämlich in der Liebe. Verschenkende Liebe, die aus der Fülle des Herzens heraus schenkt: Das ist wahrer Reichtum, und das ist sicher auch ein Teil der inneren Zielgestalt eines jeden Menschen.
3. Der Zusammenhang von Geld und Liebe
Der Zusammenhang von Geld und Liebe ist sehr tief: Die Vorstellungen von Ökonomie, die wir uns machen, sind geprägt von unseren Erfahrungen in der Liebe.
Die uns bekannte menschliche Ökonomie macht die Kreisläufe von Geben und Nehmen ganz klein. In der Regel handeln zwei Menschen miteinander aus, was sie als äquivalent betrachten; Geben und Nehmen ist zur Privatsache eines kleinen gedanklichen Kreislaufes geworden – genauso wie die Liebe auch. Wie die Menschen im Bereich der Liebe handeln und wie sie im Bereich des Geldes handeln, ist letztlich genau gleich, denn unsere Gewohnheiten im Bereich des Geldes sind ein Resultat unserer Liebeserfahrungen. Letztlich ist beides eine Frage davon, wie sehr man sich einzubetten getraut in die großen Kreisläufe des universellen Daseins unseres Wesens. Wir können uns eine planetarische Schenkökonomie heute noch kaum vorstellen, denn wir sind gewohnt, misstrauisch zu sein, zu kalkulieren, ängstlich zu sein, ungläubig zu sein usw.
Der Unglaube im Bereich des Geldes kommt daher, dass wir unsere gesamte Lebenserfahrung, die wir im Bereich der Liebe und des Vertrauens zu Menschen gemacht haben, auf den Bereich des Geldes übertragen. Und da die Erfahrungen im Bereich der Liebe sehr schmerzlich waren, entstand die psychologische Basis des derzeitigen Kapitalismus und der derzeitigen Kriegsgesellschaft.
Als die Liebe sich nicht mehr ausbreiten durfte, konnte sie nicht mehr wachsen. So entstand tief im Innern des Menschen der Gedanke der Rache und der Zerstörung gegenüber allem, was existiert. Deshalb ist unsere Umwelt so zerstört.
Als die Liebe nicht mehr wachsen konnte, um sich von selbst zu verschenken, wurden die Natur und ihre Evolution abgelehnt, und es entstand die Idee des Privaten, des Privateigentums, nicht nur am eigenen Geldbeutel, sondern an den gesamten Geschenken dieser Erde, ihren Ressourcen. Dies ist es, was wir heute als die Globalisierung des Privateigentums erleben.
Als die Liebe nicht mehr wachsen konnte, wurde gerechnet und kalkuliert: Wie kann ich das Beste für mich persönlich aus allem jetzt herausholen, mich absichern, mich versichern? Wie kann ich aus allem mein privates Glück zusammen schmieden? Das war der Beginn der Angst des Menschen vor dem Menschen und der Beginn der Herrschaft des Menschen über den Menschen.
Wenn aber die Liebe wieder wachsen kann, wenn eine Friedenskultur zu wachsen beginnt, die uns das ursprüngliche Vertrauen in die Schöpfung und in die Liebe von Menschen wiedergeben: Dann werden wir nicht mehr rechnen, nicht mehr kalkulieren, sondern dann werden wir uns ganz dafür einsetzen, dass noch mehr solcher Orte des Vertrauens auf der Erde entstehen und blühen; zu unserem und zum Wohle aller, die wir lieben.
Wenn wir auf diesem Urgrund unseres spirituellen Ankers und der Liebe angekommen sind, hat sich die Frage der Ökonomie von selbst aufgelöst: Warum sollte man nicht alles verschenken – an eine Welt, deren Wesen und deren Wesentliches man liebt? Der Aufbau von Heilungsbiotopen und Friedensforschungsdörfern ist ein erster Anfang, um eine solche Welt zunächst im Kleinen zu erschaffen. Von daher wird die interne Ökonomie eines Heilungsbiotops vom Gedanken des Gemeinschaftseigentums (d.h. der kommunitären Abschaffung des Privateigentums) geprägt sein. Dies bezieht sich zunächst auf den gemeinsamen Besitz; das heißt vor allem: die Wertschätzung und daher die Pflege des Geländes, seiner Bauten und seiner Infrastruktur. Es bezieht sich aber nach und nach auch auf sämtliche Dienstleistungen, die jedes Mitglied ohne Bezahlung für das Gemeinwohl erbringt, denn das Gemeinwesen trägt die Belange aller seiner Mitglieder.
Ein kurzer historischer Einschub: Wir haben im Laufe unserer gesamten Projektgeschichte seit 1978 fast alle wesentlichen Gelder für die nötigen Investitionen als Geschenke bekommen, und dafür sind wir sehr dankbar. Wir nennen dieses ökonomische Prinzip “spirituelle Ökonomie”, weil hier das Geld entlang bestimmter anderer, spiritueller Sinnlinien fließt und nicht entlang von direkten Äquivalenten. Es gehört natürlich eine große Portion Glauben und Vertrauen dazu, sich darauf einzulassen. Wir haben das von Anfang an in unserem Projekt getan und haben viele Wunder erlebt, so wie wir selbst für andere auch viele Wunder bewirkt haben.
4. Der Übergang: Die Humanisierung des Geldes
Wir leben heute einerseits in den Zeiten des Kapitalismus und der Kriegsgesellschaft, haben andererseits die Vision einer Schenkökonomie in einer neuen Friedenskultur. Wie aber kommen wir von hier nach dort?
In den Zeiten des Übergangs ist der Gedanke der „Humanisierung des Geldes“ wesentlich. Solange es noch Geld gibt, müssen wir alles dafür tun, dass es im Sinn des Übergangs in eine neue Friedenskultur investiert wird.
Es gibt ein interessantes Zitat von Pia Gyger, Mitbegründerin des Schweizer Lassalle-Institutes:
„Frieden muss von der Menschheit mit dem gleichen Einsatz gelernt und geübt werden wie Krieg. Bevor wir nicht den gleichen Einsatz an finanziellen Mitteln zur Friedensforschung und zur Friedenserziehung einsetzen, bleibt Frieden eine Illusion. Sobald wir aber unsere geistigen und materiellen Kräfte für das Erlernen von Frieden einsetzen, beginnt sich das „Kriegsrad der Geschichte“ in die gegenteilige Richtung zu drehen.“
Um dieses Zitat mit einigen Zahlen zu untermauern, möchte ich zwei Beispiele über die Preise in der Waffenindustrie anfügen
1. Ein neuer Leopard 2 Panzer der deutschen Waffenfirma Krauss-Maffei kostet etwa 10 Millionen Euro. Mit dieser Summe können je nach Land mehrere Friedensforschungsdörfer für insgesamt einige tausend Menschen aufgebaut werden.
2. Mit dem Geld, das ein Tarnkappenbomber kostet (1,5 Milliarden US-Dollar), könnten etwa 1000 Friedensforschungsdörfer in allen Teilen der Welt aufgebaut werden, in denen viele hunderttausend Menschen leben.
Würde also das Geld, das heute in die Kriegsindustrie fließt, in den Aufbau einer Friedenskultur investiert, sähe die Besiedelung der Erde sehr schnell sehr anders aus.
Wir gehen davon aus, dass die neue Friedenskultur aus dem Aufbau von einigen wenigen Modellen (Friedensforschungsdörfern) in den verschiedenen Regionen der Erde entsteht. Es sind Orte, in denen die Grundzüge einer neuen Friedenskultur erforscht und aufgebaut werden. In ihnen können Menschen ganz konkret lernen, dass und wie ein anderes Leben möglich ist. Sobald diese Modelle funktionieren, wirken sie wie ein Kristallisationskeim für den Aufbau weiterer Modelle und schließlich einer ganzen Friedenskultur.
Diese Modelle werden weitgehend autark sein, in ökologischer wie in sozialer Hinsicht. Auch in ökonomischer Hinsicht ist weitgehende Autarkie heute ein Muss, um die Weichen für ein neues Lebensmodell richtig zu stellen. Wegweisend für die Zeit des Übergangs sind ökonomische Erfindungen wie Regionalwährungen und Tauschringe, die dazu führen, dass die Gelder in der Region bleiben, sowie Regional-Netzwerke für regional autarke Wasserversorgung, Nahrungsversorgung und Energieversorgung. Dies wird zu verstärkter Regionalisierung und zu verstärkter Nachbarschaftshilfe und zur weitgehenden Unabhängigkeit von den globalen Märkten führen.
Autarkie darf man nicht verstehen als ein „Zurück zur Natur“, sondern als das volle Ausschöpfen der Fülle des regionalen Lebensraumes, unter Einbeziehung von nachhaltiger Technologie, naturgemäßem Bauen und ökologischer Intelligenz. Im Bereich der geistigen Werte ist die Erfindung des „Open Source“ nennenswert, bei dem ein weltweites Netzwerk von Spezialisten gemeinsam und unentgeltlich an komplexen Entwicklungen arbeitet. Dies könnte eines Tages auch zur Überwindung des Denkens bei den Patentrechten führen. Technisches Know-how muss allgemein für jedermann verfügbar sein; nur so kann die Menschheit auf friedliche und kooperative Weise zusammenwachsen.
Der Aufbau dieser Regionalnetzwerke und –infrastrukturen muss finanziert werden. Jede Investition in dieses Ziel ist eine direkte Investition in die Zukunft des eigenen regionalen Lebensraumes. Hier liegt die einzige positive Funktion des Geldes, solange es Geld und eine geregelte Wirtschaftsweise des Menschen noch gibt: im Aufbau von Regionalstrukturen, die es den Menschen wieder ermöglichen, in sinnvoller und mit der Natur verbundener Weise zu leben. „Humanisierung des Geldes“ heißt, dass das Geld in den Aufbau dieser Regionetzwerke und entsprechender Lebensmodelle (Friedensforschungszentren) investiert wird, so dass der Effekt der globalen Ausbreitung von selbst geschehen kann.
Mit „Investition“ meinen wir nicht eine Geldanlage, die nach einer gewissen Zeit eine finanzielle Rendite erzeugt. Die Rendite liegt viel mehr in der Erzeugung von neuer Lebensqualität und neuer Kulturbildung. Es vermehren sich, wenn die Friedensprojekte gelingen, die Heilkräfte auf der Erde. Es vermehren sich eine Frieden schaffende Intelligenz und ein Bewusstsein von den Erfordernissen einer wirklich gewaltfreien Kultur. Und es vermehren sich für immer mehr Menschen die Möglichkeiten, ein sinnvolles, heilendes und erfülltes Leben zu führen. Eine „Investition in den Frieden“ erzeugt also nicht eine finanzielle Rendite, sondern eine, die dem Frieden und dem Aufbau neuer Lebensstrukturen dient. Nachfolgende Generationen werden es uns danken.
Ich habe zusammen mit Sabine Lichtenfels 2008 in der Schweiz eine gemeinnützige Stiftung gegründet, die „GRACE-Stiftung zur Humanisierung des Geldes“. Mit Hilfe dieser Stiftung sammeln wir international Gelder, die wir in den weltweiten Aufbau von Friedensforschungsmodellen weitergeben. Bislang finanzieren wir damit vor allem den Aufbau des Friedensforschungszentrums Tamera, die Friedensgemeinschaft San José de Apartadó in Kolumbien, den Aufbau ihres nächsten Zentrums in Mulatos, den Aufbau des „Globalen Campus“ und seiner Ausbildungsorte für innere und äußere Friedensarbeit und die jährlich stattfindenden GRACE-Pilgerschaften zur Unterstützung der mit uns befreundeten Friedensinitiativen in Israel/Palästina und Kolumbien.
Noch einmal: So lange es noch Geld gibt, gehört es zur Aufgabe jeder Friedensinitiative, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Gelder aus dem System der Gewalt herausgelöst werden (hierzu gehört auch das Bankensystem) und in den Aufbau von Friedensmodellen fließen.
5. Zusammenfassung
- Die gesamte Menschheit lebt heute im System des globalen Kapitalismus und der globalen Kriegsgesellschaft, deren Wirtschaftssystem ohne den Krieg nicht mehr auskommt. Von daher ist es notwendig, dass wir in unserer Vision über eine zukünftige Friedenskultur darüber nachdenken, welche Bedeutung das Geld in ihr haben soll.
- Schaut man in die Natur, so entdeckt man eine globale Ökonomie des Schenkens, die über ein ungeheuer komplexes Netzwerk aus offenen Kreisläufen jedes Element mit dem versorgt, was es zum Leben braucht. Die Ökonomie einer neuen Friedenskultur wird daher eine Schenkökonomie sein.
- Unsere Ängste und unser Misstrauen, die bis jetzt ein solches System noch verhindern, sind entstanden durch unsere ersten Erfahrungen im Bereich der Liebe, die wir auf das System des Geldes übertragen haben. So wie in der Ökonomie können und müssen wir auch im Bereich der Liebe wieder lernen, zu schenken und zu vertrauen.
- Würde das Geld,das heute in die Kriegsindustrie fließt, in den Aufbau einer Friedenskultur investiert, sähe die Besiedelung der Erde sehr schnell sehr anders aus. Der Übergang von der Kriegsgesellschaft in eine Friedenskultur wird nur gelingen, wenn genügend Geld in den Aufbau von Friedensmodellen investiert wird, die als Kristallisationskeime für den Aufbau eines globalen Friedensfeldes wirken. Die Investition in diesen Vorgang nennen wir die „Humanisierung des Geldes“.
6. Schlusswort
Ich möchte hier noch einmal die zentrale Aussage dieses Textes wiederholen:
„Die Vorstellungen von Ökonomie, die wir uns machen, sind geprägt von unseren Erfahrungen in der Liebe.
Als die Liebe sich nicht mehr ausbreiten durfte, konnte sie nicht mehr wachsen. So entstand tief im Innern des Menschen der Gedanke der Rache und der Zerstörung gegenüber allem, was existiert. Deshalb ist unsere Umwelt so zerstört.
Als die Liebe nicht mehr wachsen konnte, um sich von selbst zu verschenken, wurden die Natur und ihre Evolution abgelehnt, und es entstand die Idee des Privaten, des Privateigentums, nicht nur am eigenen Geldbeutel, sondern an den gesamten Geschenken dieser Erde, ihren Ressourcen. Dies ist es, was wir heute als die Globalisierung des Privateigentums erleben.
Als die Liebe nicht mehr wachsen konnte, wurde gerechnet und kalkuliert: Wie kann ich das Beste für mich persönlich aus allem jetzt herausholen: mich absichern, mich versichern. Wie kann ich aus allem mein privates Glück zusammen schmieden? Das war der Beginn der Angst des Menschen vor dem Menschen und der Beginn der Herrschaft des Menschen über den Menschen. Wenn aber die Liebe wieder wachsen kann, wenn eine Friedenskultur zu wachsen beginnt, die uns das ursprüngliche Vertrauen in die Schöpfung und in die Liebe von Menschen wiedergeben: Dann werden wir nicht mehr rechnen, nicht mehr kalkulieren, sondern dann werden wir uns ganz dafür einsetzen, dass noch mehr solcher Orte des Vertrauens auf der Erde entstehen und blühen; zu unserem und zum Wohle aller, die wir lieben.“