Corona-Krise: Zeit der Entscheidung

Gedanken aus Tamera

Corona hat das Leben unzähliger Menschen in dramatischer Weise verändert. Wir sehen jedoch die aktuelle Krise, genau wie die sozialen und wirtschaftlichen Ereignisse, die sie ausgelöst hat, als Symptom und Ausdruck eines viel tiefer liegenden Dilemmas, dessen humaner Ausgang radikale systemische Veränderungen verlangt. Wir stehen mitten in einem tiefen Zeitenwechsel. Eine Rückkehr zur bisherigen „Normalität“ wird es nicht geben. Darin läge auch keine wirkliche Lösung. Aber wie wird – und wie muss – eine neue Normalität aussehen, die auf echter Humanität und Solidarität beruht?

Tamera-Gemeinschaft, 27. Januar 2021

Wir haben lange gezögert, zu den aktuellen weltpolitischen Ereignissen umfassender Stellung zu beziehen, da die Komplexität der Vorgänge, die Widersprüchlichkeit und Menge der verbreiteten Informationen, die rasanten, oft mehrschichtigen und manchmal kaum nachvollziehbaren Veränderungen für uns bis heute noch kein eindeutig fassbares Bild ergeben. Auch innerhalb unserer Gemeinschaft findet sich nicht die eine Stellungnahme, sondern verschiedene Wahrnehmungen und Blickwinkel. Dennoch gibt es in dem ganzen Geschehen Vorgänge, zu denen ein aufgeklärter, kritischer Geist und ein human denkendes, fühlendes Herz auf Dauer nicht schweigen kann. Der folgende Text entstand aus einem kollektiven Prozess von Verständigung und Auseinandersetzung und repräsentiert eine Sicht, die die Tamera-Gemeinschaft teilt. (Zusätzlich gibt es Stimmen Einzelner, die darüber hinausgehen – z.B. den neuen Aufsatz von Tamera-Mitbegründer Dieter Duhm: „Corona – und die andere Realität”.)

Lösungen, die keine sind

Der neue Coronavirus hält die Welt seit einem Jahr in Atem. Die Covid-19-Erkrankung verläuft in den meisten Fällen offensichtlich mild, doch leider nicht bei allen. Hinter den Zahlen steht wie immer auch der Schmerz von Menschen, die qualvoll und besonders zur Zeit oft einsam sterben, ebenso der Schmerz von Angehörigen und FreundInnen, das Leiden von PatientInnen an Beatmungsmaschinen, die Überlastung von ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen (die besonders jetzt unter sehr erschwerten Bedingungen arbeiten müssen). Ein Zustand, der nicht zuletzt durch zunehmende Einsparungen im öffentlichen Gesundheitssystem über Jahrzehnte mit hervorgerufen wurde und auch früher schon zu massiven, aber viel weniger beachteten Engpässen geführt hat. In solchen Situationen sind in vielen Ländern Menschen aus ohnehin schon marginalisierten Gruppen besonders stark betroffen: Indigene, Schwarze, Menschen of Color, deren Immunsystem und Gesundheit schon aufgrund weniger privilegierter Lebensbedingungen geschwächt ist, erkranken z.B. in USA und Brasilien häufiger und schwerer als Weiße und haben dabei oft schlechteren Zugang zu medizinischer Hilfe. Auch Flüchtende und MigrantInnen weltweit leiden besonders unter Erkrankungen und den Folgen der drastischen Maßnahmen.

Gleichzeitig beobachten wir ein millionenfaches menschliches Leid, welches nicht durch das Virus, sondern gerade durch die Maßnahmen zu seiner Eindämmung hervorgerufen wird: Alte, Pflegebedürftige und Kranke, die an vielen Orten vereinsamen, verzweifeln und oft genug alleine sterben müssen; die Traumatisierung einer ganzen Generation von Kindern und Jugendlichen, der die Angst vor anderen Menschen und die Schuldgefühle, selber eine Gefahr für andere und geliebte Menschen zu sein, fürs Leben eingeimpft wird; eine Zunahme an seelischer Not, psychischen Erkrankungen und an häuslicher Gewalt, eine steigende Selbstmordrate; die medizinische Unterversorgung von Millionen von Menschen, weil Krankenhäuser, Arztpraxen, Untersuchungsinstitute durch verhängte Corona-Maßnahmen nicht wie bisher arbeiten können.

Hinzu kommen die unübersehbaren sozio-ökonomischen Folgen der vorherrschenden Corona-Politik. Wir sehen eine seit den 1920ern beispiellose Wirtschaftskrise und Umverteilung von Vermögen: Unzählige kleine und mittelständische Unternehmen werden in oder an den Rand der Insolvenz getrieben, während die Superreichen nie da gewesene Profite davon tragen. Während Hunderte Millionen Menschen arbeitslos werden, während Hunger und Obdachlosigkeit weltweit sprunghaft zunehmen, verzeichnen Großkonzerne besonders im digitalen und pharmazeutischen Bereich Rekordgewinne. Die Börsen florieren. Allein zwischen April und Juli 2020, also in nur vier Monaten, wuchs der Reichtum der Milliardäre um 27,5% oder 10,2 Billionen US Dollar.

Besonders verheerend sind die wirtschaftlichen und humanitären Folgen der Lockdowns in weiten Teilen des globalen Südens. In vielen Ländern kam fast der gesamte informelle Sektor, in dem der Großteil der armen Bevölkerung arbeitet, quasi über Nacht zum Stillstand und drückte Hunderte Millionen in äußerste Armut, Hunger und Elend. Die UN schätzt derzeit, dass die Zahl der weltweit Hungernden allein durch die Corona-Maßnahmen um 83 bis 132 Millionen Menschen steigen wird. Das Hilfswerk Oxfam prognostizierte letzten Sommer, dass bis Ende 2020 täglich bis zu 12.000 Menschen allein aufgrund der Maßnahmen zusätzlich verhungern würden.

Wir wissen heute, dass die hypothetischen Modellrechnungen für Corona-Tote, auf deren Grundlage Regierungen vieler Länder Lockdowns und andere drastische Maßnahmen verordneten, maßlos übertrieben waren. Gleichzeitig melden ExpertInnen seit vielen Monaten Zweifel an der Festlegung von Infektionszahlen alleine durch PCR-Tests, der Wirksamkeit von Lockdowns, sozialer Distanzierung und Alltagsmasken und der Sicherheit der neuen Impfstoffe. Dennoch wurden bis heute kaum breit besetzte Expertengremien zugelassen, um die Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen zu überprüfen.

Das Corona-Virus wurde von Medien und PolitikerInnen oft als ein beispielloses neues Phänomen dargestellt. Dennoch gilt wie bei jeder Krankheit auch hier: Die Maßnahmen zur Behandlung dürfen nicht mehr Schaden anrichten als die Krankheit selbst.

Angst war von Anfang an das Prinzip, dem Regierungen und Medien vieler Länder in der Beantwortung der Corona-Krise gefolgt sind. Anstatt für Besonnenheit und Aufklärung zu sorgen, wurde Angst vor Krankheit und Tod geschürt – teilweise in voller Absicht, wie z.B. einem internen Strategie-Papier der deutschen Regierung zu entnehmen ist, um bei der Bevölkerung „die gewünschte Schockwirkung zu erzielen“. Angst aber ist selten ein guter Ratgeber, wenn es um die Bewältigung von Krisen geht. Sie führt zu Polarisierung, stört die Kommunikation und erschwert die nüchterne Einordnung von Ereignissen. Aus Angst entstehen nicht selten Schutzmaßnahmen, die die Gefahr erst recht verstärken oder gar heraufbeschwören. Wir schrieben in unserem April-Brief: „Das gefährlichste und ansteckendste Virus ist das Virus der Angst.”

Die Covid-19-Maßnahmen führen zu tiefen gesellschaftlichen Spaltungen, und zwischen den verschiedenen Lagern scheint eine sinnvolle Verständigung kaum möglich zu sein. Einerseits versuchen Regierungen mit ausgedehnten Informationskampagnen und Restriktionen, die Ausbreitung des Virus zu bannen. Andererseits werden Tausende renommierte Ärzte, Wissenschaftler und Fachleute, die sich kritisch zum Umgang mit Covid-19 äußern, von Politikern ignoriert, von Massenmedien diffamiert und in den sozialen Medien zensiert.

Milliarden von Menschen sollen einen neuartigen Impfstoff verabreicht bekommen, welcher innerhalb weniger Monate zugelassen wurde, während es normalerweise 5-10 Jahre dauert, die nötigen Studien und Testphasen zu absolvieren, um das Ausmaß an schädlichen Nebenwirkungen beurteilen zu können. Der Pharmakologe Prof. Stefan Hockertz warnt vor „Menschenexperimenten“. Bereits jetzt häufen sich Berichte von teils schwerwiegenden Nebenwirkungen aus verschiedenen Ländern. Dabei ist noch unklar, wie weit die Impfung die Infektionen tatsächlich eindämmen kann. Am 29. Dezember räumte die leitende Wissenschaftlerin der WHO, Dr. Soumya Swaminathan, ein: „Ich glaube nicht, dass wir Beweise für irgendeinen der Impfstoffe haben, um sicher sagen zu können, dass die Infektion von Menschen tatsächlich verhindert wird und davor schützt, dass diese sie weitergeben. Daher müssen wir davon ausgehen, dass Menschen, die geimpft wurden, auch weiterhin die gleichen Vorsichtsmaßnahmen treffen müssen.“

Gleichzeitig wird darüber diskutiert, ob Nicht-Geimpfte in Zukunft noch öffentliche Transportmittel, Restaurants und Kulturbetriebe nutzen, Bildungseinrichtungen besuchen oder einen Arbeitsvertrag erhalten dürfen.

Die Covid-19-Maßnahmen werfen tiefe ethische und gesellschaftliche Fragen auf. In seinem Aufsatz „Die Krönung“ („The Coronation“) schreibt der Autor und Visionär Charles Eisenstein: „In was für einer Welt wollen wir leben? Wie viel vom Leben wollen wir auf dem Altar der Sicherheit opfern? Wollen wir zu unserer Sicherheit in einer Welt leben, wo sich Menschen nicht mehr versammeln? … Sind wir bereit, die allgemeine Medikalisierung des Lebens zu akzeptieren und die Bestimmungshoheit über unsere Körper medizinischen Autoritäten (die von politischen ernannt werden) zu überantworten? Wie sehr sind wir bereit, in Angst zu leben?“

Endspiel des globalen Kapitalismus

Die Corona-Krise ist nur das Symptom einer viel tieferen zivilisatorischen Krise, deren Aspekte im letzten Jahr deutlicher denn je sichtbar wurden: Finanzkrise, wachsende soziale Ungleichheit, systemischer Rassismus und die Zuspitzung der ökologischen Krise sind nicht getrennte, sondern zusammenhängende Phänomene.

Das Finanzsystem befindet sich in einem radikalen Umbruch. Das bestehende Geldsystem wird seit dem Crash von 2008 von den Zentralbanken nur noch künstlich durch Geldspritzen am Leben gehalten. Die Zeichen mehren sich, dass Regierungen und Banken die Einführung eines völlig neuen, bargeldlosen Finanzsystems auf Blockchain-Basis vorbereiten, wodurch die wirtschaftlichen Aktivitäten Einzelner in neuen Ausmaßen kontrolliert oder sogar manipuliert werden könnte. Gleichzeitig bergen Krypto-Währungen auch das Potential für sozialen Ausgleich und nachhaltige Entwicklung, wenn sie auf ethischen Prinzipien basieren.

Immer deutlicher zeichnet sich ab: Der globale Kapitalismus kann und wird auf demokratischer Grundlage nicht mehr lange weitermachen. Es ist erschreckend, aber wenig überraschend: Ein auf exponentielles Wachstum getrimmtes System aufrechtzuerhalten, verlangt immer größere menschliche Ungerechtigkeiten und ökologische Vernichtung – und damit eine zunehmend totalitäre Gesellschaftsordnung. Die herrschenden Eliten wissen, dass ihnen massiver Widerstand bevorsteht und sie ihre Macht nur noch durch immer stärkeren Zwang aufrechterhalten können.

Ähnlich wie nach den Anschlägen des 11. September 2001 nutzen viele Regierungen und Konzerne in dieser Corona-Krise das Muster, welches Naomi Klein als „Schock-Doktrin“ beschrieb, um weitreichende politische und gesellschaftliche Veränderungen, die unter normalen Umständen unmöglich wären, in einer Atmosphäre von Panik und Katastrophenangst schnell durchzudrücken. Viele autoritäre Regierungen haben mit Verweis auf gesundheitliche Sicherheit demokratische Grundrechte eingeschränkt, die Überwachung ihrer BürgerInnen ausgeweitet und Oppositionelle verfolgt. Gleichzeitig haben Lockdown und Home Office die ohnehin schon riesige Macht von Tech-Konzernen weiter vergrößert und die Ausbreitung eines „Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff) beschleunigt, in dem digitale Akteure das Verhalten der NutzerInnen – d.h. von uns allen – durch immer intelligentere Algorithmen überblicken und manipulieren.

Der Kampf um die globale Macht wird heute u.a. in einem Informationskrieg geführt, in dem die Medienorgane der verschiedenen Elite-Fraktionen (sowohl Mainstream- als auch alternative Medien) gegeneinander um die Vorherrschaft über unser Denken und Fühlen streiten. Indem sie falsche Gegensätze in die Gehirne pflanzen – wie etwa den von „Globalisierung“ oder „Nationalismus“, „Gesundheit“ oder „Freiheit“ und „VerschwörungstheoretikerInnen“ oder „verantwortliche BürgerInnen“ – verlieren viele Menschen den Blick auf das System als Ganzes. Wir werden andauernd beschäftigt gehalten mit den Vergehen einzelner Persönlichkeiten, Parteien, Staaten und der scheinbar nötigen Wahl eines geringeren Übels.

Der Wettstreit um die Zukunft wird aber nicht zwischen diesen Gegensätzen, auch nicht zwischen China und USA, zwischen Neoliberalismus und Nationalismus oder ähnlichen Kategorien entschieden. Die Entscheidung über unser weiteres Zusammenleben liegt auf einer viel grundsätzlicheren Ebene kollidierender Paradigmen: Kapitalismus oder Leben, zentralistische Imperien oder dezentrale Gemeinschaften, Herrschaft oder Kooperation, Angst oder Vertrauen – das sind die Entscheidungen, vor denen wir im unvermeidlichen Systemwechsel unserer Zeit stehen.

Zeitenwechsel und das Ende der Angst

Das weltweite Leiden, das sich in der aktuellen Krise immer weiter zuspitzt, ist nur das Symptom eines globalen Systems, welches den Grundprinzipien einer heilenden und friedlichen Existenz fundamental widerspricht. Innerhalb dieses Systems wird es keine lebenswerte Zukunft mehr geben. Die Corona-Krise, genauso wie Klima-, Hunger- und Flüchtlingskrisen, ruft nach der konkreten Vision für eine humane, nachkapitalistische Welt. Viele Bewegungen und Gemeinschaften weltweit arbeiten heute für diese Notwendigkeit. Im Projekt der Heilungsbiotope forschen wir in diesem Zusammenhang am Aufbau konkreter Gesellschaftsstrukturen, die Vertrauen, Heilung und Liebe unter Menschen dauerhaft ermöglichen und dadurch zu einer heilen Zukunft beitragen können.

Es sind innere Vorgänge, die über den Ausgang der äußeren Entwicklungen entscheiden. Angst war und ist eine Triebfeder, die Corona zu dieser globalen Krise gemacht hat. Aber die Angst, die durch Corona jetzt so überdeutlich an den Tag tritt, ist vom Virus nicht hervorgerufen, sondern nur an die Oberfläche gespült worden. In diesem Sinne könnte gerade die Corona-Krise ein Wachstumsbeschleuniger für den nötigen inneren Systemwechsel sein, denn fast alle stoßen in dieser Zeit an unbewusste Angstpunkte, die wahrgenommen und heilend aufgelöst werden wollen. Wenn wir die totalitären Szenarien, auf die das bestehende System hinausläuft, verhindern wollen, dann sind wir aufgefordert, das innere System der Angst zu verlassen und in ein höheres System des Vertrauens einzutreten.

Zum Phänomen der Angst schrieb Dieter Duhm in „Aufbruch zur neuen Kultur” (1982):

Die biologische Kulturkrankheit unserer Zivilisation ist Angst… Die Angst wird meistens deshalb nicht bemerkt, weil aus ihr unsere moralischen Übereinkünfte, unsere kulturellen Konversationen, unsere Ideologien und Verhaltensformen gemacht sind. Angst ist »gebunden« in das System unserer alltäglichen Selbstverständlichkeiten. Sie ist das psychische Ferment unserer ganzen Kultur. Was es heißt, ohne Angst zu lieben, ist für die allermeisten nicht einmal mehr vorstellbar, weil die Verbindung dessen, was sie als »Liebe« bezeichnen, mit Verlustangst, Sexualangst, Autoritätsangst, Angst vor Ablehnung, vor dem Alleinsein und Angst vor Verrat so »selbstverständlich« ist, daß die Absurdität der Situation gar nicht mehr wahrgenommen wird. Wahrgenommen werden dann erst wieder die Folgen: Eifersucht, Krankheit, Depression und Zerbrechen der Beziehungen. Liebe ohne Angst ist auf jeden Fall das Gegenteil von dem, was in unserem Kulturkreis als Liebe bezeichnet wird.

Angst ist nicht nur ein persönliches Phänomen, sie ist das innere Fundament des Kapitalismus und unserer ganzen patriarchalen Zivilisation, über Generationen hinweg systematisch eingraviert in die Seelen und Leiber von Milliarden Menschen. Es geschieht ja im konkreten Zusammenleben von Menschen, etwa in der Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen, zwischen Geliebten, zwischen Mensch und Natur usw., dass die Strukturen von Angst, Misstrauen und (latenter oder offener) Gewalt entstehen und meist unbewusst weitergegeben werden. Im Großen zeigen sie sich dann als unterdrückerische Systeme. Nach Jahrtausenden patriarchaler, kolonialer, kapitalistischer Herrschaft steht die Menschheit unter dem Bann eines kollektiven Traumas, das die immer gleichen Muster von Angriff und Verteidigung, von Unterdrückung und Traumatisierung hervorruft, wenn wir der inneren Wunde nahekommen. Viele Gemeinschaften und utopische Bewegungen sind an der Macht des Traumas im eigenen Inneren gescheitert, besonders in den Bereichen von Sexualität, Liebe, Spiritualität und Macht. Um dennoch eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen, brauchen wir Lebensmodelle für die Heilung der kollektiven Wunde, in denen dauerhaftes, tiefes Vertrauen auch in den heißesten und heikelsten Zonen der Seele entstehen kann.

Verschiedene indigene und andere spirituelle Traditionen weisen seit langem auf einen Zeitenwechsel hin, der sich heute im Hintergrund der weltpolitischen Ereignisse und seelischen Vorgänge vollzieht: das Ende einer alten Epoche mit ihrer Denk- und Daseinsweise und der (mögliche) Beginn eines neuen Zeitalters mit einer anderen Art, zu denken, zu fühlen, zu lieben und mit der Welt in Beziehung zu stehen. Der toltekische Weisheitshüter Mindahi Bastida spricht davon, dass die Erde in dieser Transformation eine Zeit notwendiger Reinigung durchläuft, die mit Erdbeben, Bränden, Hurrikanen und Überschwemmungen einhergeht. Er sagt: „Wir begleiten Mutter Erde in ihrem Reinigungsvorgang mit viel Respekt – in Anerkennung, dass dies ihre Zeit ist. Wir beobachten alles, was jetzt passiert, mit großer Aufmerksamkeit. … Alle, die bereit sind, auf die Stimme der Erde zu hören und sie mit Weisheit und Bescheidenheit anzunehmen, werden wissen, was zu tun ist und was sie in ihrem Leben verändern müssen. Wir alle haben die Chance, eine neue Bewusstseinsebene zu erklimmen, indem wir uns erneut für ein Leben mit der Erde entscheiden.“

In ihrer Eingabe zum Ring der Kraft am 28. Dezember 2020 sagte Sabine Lichtenfels: „Wir leben in einer ganz speziellen Zeit, wo aus den Dunkelzonen der Seele alles hochgespült wird, was bereinigt und geheilt werden muss. Wenn wir dagegen ankämpfen und an alten Denkmustern festhalten, erleben wir viel Leid und Schmerz. Aber wenn wir erkennen und bejahen können, was jetzt losgelassen werden will, dann kann die innere Neugeburt geschehen. … Meine Wahrnehmung ist, dass eine hohe Liebesschwingung auf der Erde landen will. Es ist dafür entscheidend, dass wir zum Punkt der inneren Stille und Gegenwärtigkeit kommen, wo wir Zeuge dessen werden, was uns diese Liebeskraft offenbaren will.”

Wir leben in einer Zeit großer Gefahr, aber auch großer Möglichkeiten. Es ist immer klarer zu sehen, auf was für ein unvorstellbar grausames Endspiel der globale Kapitalismus hinausläuft. Wir kennen aber auch eine andere Wahrheit: „Wenn das Leben siegt, wird es keine Verlierer mehr geben“ (Dieter Duhm). Jetzt, wo sich die Krise zuspitzt, kommt es darauf an, allen alten und neuen Formen der Unterdrückung gezielt und strategisch zivilen Ungehorsam, v.a. aber glaubwürdige Alternativen entgegenzusetzen. Bargeldlose Wirtschaft, steigende Überwachung und die ökologische Krise fordern uns heraus, lokale und regionale Solidarwirtschaften aufzubauen, in denen wir uns gegenseitig unterstützen und von zentralistischen Großsystemen unabhängig machen – und Forschungsplätze, die zeigen, wie solche dezentralen Gemeinschaften entwickelt werden und dauerhaft funktionierien können. In der Regeneration geschädigter Ökosysteme, Böden und Wasserkreisläufe liegt ein wichtiger Schlüssel für dezentrale Systeme, die sich mit gesundem Trinkwasser, biologischer Nahrung und erneuerbarer Energie selbst versorgen können. Je mehr autonome Gemeinschaften entstehen, umso weniger Verfügungsmacht haben totalitäre Systeme über die Menschen.

Um den Kapitalismus zu überwinden, brauchen wir darüber hinaus den weltweiten Zusammenhalt der verschiedensten Kulturen, Gemeinschaften, Bewegungen, Experimente und Projekte – und eine konkrete Zusammenarbeit für den Aufbau einer humanen, nachkapitalistischen Welt. Wir brauchen ethisch verantwortliche Medien, die die verschiedenen Stimmen einer wachsenden planetarischen Gemeinschaft des Friedens verbreiten. Wir brauchen unzerbrechliche Solidarität und eine gemeinsame Verbindung mit der Kraft der Vision. Je stärker das Bild einer Welt des Vertrauens und der Kooperation in den Herzen und Seelen leuchtet, umso kraftvoller kann der nötige Systemwechsel gelingen.

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